VERÖFFENTLICHT AM 13. OKTOBER 2020 VON DR. MARKUS NUMBERGER
Jüngste Fortschritte in der künstlichen Intelligenz hauchen einer alten Idee neues Leben ein: der Phagentherapie. Hierbei werden Bakteriophagen, also Viren die spezifisch Bakterien befallen, zur Bekämpfung bakterieller Infektionen eingesetzt. Die Phagentherapie wurde bereits in den 1920er Jahren erfunden, später aber wieder aufgegeben, weil Antibiotika viel einfacher und billiger herzustellen und zu verwenden waren. Durch die zunehmenden Antibiotikaresistenzen könnte der Einsatz von Bakteriophagen wieder interessant werden. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) gelang es, ein seit langem bestehendes Hindernis für die Phagentherapie zu überwinden: die Identifizierung des richtigen Phagen für einen bestimmten Bakterienstamm. Die Möglichkeit, durch KI schnell und präzise wirksame Phagen auszuwählen, könnte eine neue Waffe im Kampf gegen Superbakterien liefern und den Weg für personalisierte Phagentherapien zur Behandlung antibiotikaresistenter bakterieller Infektionen ebnen. Die Arbeit erschien Ende 2024 in Nature Microbiology.
Kernaussagen
- Wiederbelebung der Phagentherapie: Da herkömmliche Antibiotika gegen resistente Erreger wie bestimmte Stämme von Escherichia coli an Wirksamkeit verlieren, erweist sich die Phagentherapie als vielversprechende Alternative.
- KI-gesteuerte Personalisierung: Forscher haben ein KI-Modell entwickelt, das bakterielle Genome analysiert, und vorhersagen kann, welche Phagen bestimmte Infektionen wirksam bekämpfen können.
- Klinische Erfolgsaussichten: In aktuellen Studien hat das KI-Modell die Wirksamkeit von Phagen in 85% der Fälle richtig vorhergesagt und bei Tests mit E. coli-Stämmen, die Lungenentzündung verursachen, eine Erfolgsquote von 90% erreicht. Damit ebnet es den Weg für personalisierte und effiziente Phagentherapien.
Details zur Arbeit
Historisch gesehen wurde die Phagentherapie in den 1920er Jahren von dem französischen Wissenschaftlern Félix d’Hérelle am Institut Pasteur entwickelt. Ihre Anwendung ging jedoch zurück, als sich Antibiotika als einfacher und billiger in der Herstellung erwiesen. Heute, da Antibiotikaresistenzen auf dem Vormarsch sind, könnten Bakteriophagen in die Bresche springen, insbesondere wenn konventionelle Antibiotika versagen.
Im Oktober 2024 erschien in Nature Microbiology eine bahnbrechende Arbeit, die ein seit langem bestehendes Hindernis für die Phagentherapie überwindet: die Identifizierung des richtigen Phagen für einen bestimmten Bakterienstamm. In zweijähriger Arbeit analysierte das Forschungsteam 350.000 Interaktionen zwischen 403 verschiedenen E. coli-Stämmen und 96 verschiedenen Phagen und identifizierten damit die Merkmale im bakteriellen Genom, die die Wirksamkeit der Phagen vorhersagen können. Dadurch wurde klar, dass die Wirksamkeit eines Phagen weitgehend von den bakteriellen Membranrezeptoren – den entscheidenden Eintrittspforten für Phagen – und nicht von der internen antiviralen Abwehr der Bakterien bestimmt wird.
Diese umfassende Analyse ermöglichte es den Bioinformatikern des Teams, ein KI-Modell zu entwickeln, das insbesondere die Regionen des bakteriellen Genoms analysiert, die für Membranrezeptoren kodieren. Dadurch kann die KI vorhersagen, welche Phagen gegen eine bestimmte bakterielle Infektion am wirksamsten sind. Nach weiteren 2 Jahren Training und Testen zeigte das Modell eine bemerkenswerte Genauigkeit. Das KI-Modell konnte die Wirksamkeit der Phagen im Datensatz in 85% der Fälle korrekt vorhersagen, einfach durch Analyse der bakteriellen DNA. Das KI-Modell wurde auch an neuen Bakterienstämmen getestet, die Lungenentzündung verursachen. Es wählte für jeden Stamm einen maßgeschneiderten „Cocktail“ aus drei Phagen aus, die in 90 % der Fälle effektiv die Bakterien zerstörten. Dieser Ansatz mit seiner hohen Erfolgsrate und Skalierbarkeit bietet einen vielversprechenden Weg für die Umsetzung personalisierter Phagentherapien in klinischen Umgebungen.
Warum ist das wichtig?
Mit dieser Methode, die sich leicht in die Klinik übertragen lässt, können Phagen schnell und präzise ausgewählt werden, um bakterielle Infektion mit hoch antibiotikaresistenten Escherichia coli-Stämmen zu bekämpfen. Das KI-Modell ist so konzipiert, dass es sich leicht an andere andere pathogene Bakterien anpassen lässt. Es soll also ausgeweitet werden, um in Zukunft personalisierte Phagentherapien anbieten zu können.
Quelle:
Prediction of strain level phage–host interactions across the Escherichia genus using only genomic information. Nature Microbiology, 2024; 9 (11): 2847 DOI: 10.1038/s41564-024-01832-5